Praxis Dr. Inselfisch

Psychologie, Philosophie und Programmierung

Ist Geiz wieder mal geil? Gedanken zum “neuen” Minimalismus

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In den vie­len Essays und Artikeln, die täglich über das Dis­play meines Note­books geis­tern, find­en sich zur Zeit gehäuft welche zum The­ma Per­son­al Finance. In unseren Zeit­en des unbe­gren­zten Kon­sums ist es nun­mal sehr leicht, mehr Geld auszugeben als man hat. Die aktuelle Patentlö­sung für chro­nis­che Geld­not bis hin zur Ver­schul­dung heißt wieder ein­mal Min­i­mal­is­mus, oder auch Ein­fach­es Leben, und befasst sich damit, bei jedem Cent den man aus­gibt auch zu bew­erten, ob das jet­zt wirk­lich sein muss, oder ob man den Cent doch lieber für etwas anderes ver­wen­det.

Denn, da sind sich die Experten einig, Min­i­mal­is­mus sei keine Sache des Verzichts, son­dern eine Sache der Wahl­frei­heit. Wer sich für ein ein­fach­es Leben entschei­det, so heißt es, kann Bal­last abw­er­fen und ins­ge­samt glück­lich­er sein als vorher. Das set­zt aber voraus, dass man mit dem Rot­s­tift über alle Aus­gaben geht und erst ein­mal iden­ti­fiziert, wohin das schöne Geld jeden Monat entschwindet. Voraus­set­zung für eine min­i­mal­is­tis­che Finan­zlö­sung ist, dass man seine Aus­gaben sehr genau kon­trol­liert. Viele Experten rat­en dazu, wirk­lich jeden aus­gegebe­nen Cent schriftlich mitzupro­tokol­lieren, täglich und akribisch. Das finde ich für eine gewisse Über­gangszeit OK, bis man bess­er im Blick hat wo denn nun wirk­lich die Lecks im Bud­get sind. Man kanns aber auch übertreiben, die ständi­ge Kon­trolle kann auch zum Selb­stzweck wer­den, da wird Geiz dann wirk­lich geil und ein erstrebenswertes Ziel per se. Das kann dann leicht in die Obses­sion abkip­pen, und da wirds dann echt unschön.

Was ich auch nicht schön finde, ist wenn sich jemand anmasst, “glück­lichen Min­i­mal­is­mus” als Patentlö­sung gegen Armut anzupreisen. Hartz IV und Alter­sar­mut wegen zu niedriger  Renten lassen sich nicht damit kuri­eren, dass man die Betrof­fe­nen zur akribis­chen Führung eines Haushalts­buch­es zwingt. Wenns hin­ten und vorn nicht reicht, kann man das zwar somit nach­weisen, aber geholfen ist einem damit nicht. Aber ich schweife ab — hier wirds mir zu poli­tisch.

Wie dem auch sei, die strenge Kon­trolle der monatlichen Haushalt­saus­gaben unter der Flagge “Min­i­mal­is­mus” wird als das neue All­heilmit­tel gegen per­sön­liche finanzielle Schwierigkeit­en ange­priesen, und es gibt eine ganze Legion von Rat­ge­bern, die dies als Neu und sog­ar als Chic und In verkaufen.

Ja sagt mal: gehts noch? Wer hat denn das jet­zt alles neu erfun­den? Erin­nert sich noch jemand an den schö­nen alten Begriff “Haushalts­geld”? Das gabs zu mein­er Zeit (ha, ich werde alt!) in jed­er Fam­i­lie, das war ganz ein­fach der Geld­be­trag, der der Haus­frau im Monat für die täglichen Aus­gaben zur Ver­fü­gung stand. Das war oft mal auch ein Stre­it­punkt, zugegeben, aber im Großen und Ganzen stand fest, wieviel für Lebens­mit­tel und Haushalt­skram und Dinge des täglichen Bedarfs aus­gegeben wer­den kon­nte. Damit da nichts aus dem Rud­er lief, sam­melte man die Kassen­zettel der täglichen Einkäufe und führte damit ein Haushalts­buch, so kon­nte man sehr schnell iden­ti­fizieren, wenn sich irgend­wo Aus­gaben erhöht hat­ten. Dann wurde neu ver­han­delt, und entwed­er das Haushalts­geld aufge­stockt, oder die Mehraus­gaben woan­ders einges­part. Eine gute Haus­frau hat­te ihre Aus­gaben stets im Blick, das gehörte zu den Grund­la­gen ihres Berufs und wurde von der Mut­ter an die Tochter so weit­ergegeben, über die Gen­er­a­tio­nen.

Das war jet­zt aber nur die halbe Miete, bildlich gesprochen. Wieviel Haushalts­geld let­z­tendlich zur Ver­fü­gung stand, hing natür­lich vom gesamten Einkom­men der Fam­i­lie ab, und von den davon zu bestre­i­t­en­den monatlichen Fixkosten. Miete, KFZ, Ver­sicherun­gen, Strom, Gas, Wass­er, Tele­fon… Urlaub, grössere Anschaf­fun­gen wie Möbel, TV oder Elek­trogeräte für den Haushalt, Kosten für Schule und Aus­bil­dung der Kinder, das alles rech­nete man  zusam­men, und Haushalts­geld kon­nte höch­stens das sein, was übrig­blieb. Meis­tens noch nicht ein­mal das, es gin­gen noch Beträge für Sparkon­ten, Baus­par­er und Abzahlun­gen für Wohneigen­tum und das Fam­i­lien­au­to davon ab. Tscha, und erst der dann noch übrig­bleibende Rest stand für den Haushalt zur Ver­fü­gung.

Voraus­set­zung für das Funk­tion­ieren des Sys­tems war natür­lich, dass man a) wusste wie es um die Ein­nah­men und Aus­gaben der Fam­i­lie stand und b) Haush­err und Haus­frau darüber offen und ehrlich miteinan­der rede­ten und ihr Bud­get part­ner­schaftlich ver­planten. Ganz schön viel ver­langt, nicht wahr? Aber so war die Abmachung, wenn man das Unternehmen Fam­i­lie erfol­gre­ich führen wollte.

Und so kann es auch heute noch funk­tion­ieren. Für Sin­gles übri­gens auch, die müssen dann nur vor sich selb­st ehrlich sein und mit offe­nen Karten spie­len. Wenn ich mir ger­ade einen neuen Lap­top zugelegt habe, ist wahrschein­lich dass mein Bud­get im sel­ben Monat einen Kurztrip nach Paris eigentlich nicht mehr erlaubt. Fahr ich halt übers Woch­enende zu meinem besten Fre­und, der hat das Alt­mühltal vor der Haustür, da ist es auch schön. So funk­tion­iert das mit der Wahl­frei­heit… mal auch kleinere Brötchen back­en, aber nicht immer nur knau­sern.

Vernün­ftig wirtschaften kann man nur, wenn auch ein Bud­get zum pla­nen da ist, bei chro­nis­ch­er Ebbe in der Kasse sind wahrschein­lich ein­schnei­den­dere Mass­nah­men gefragt. Eine zu teure Woh­nung, das schicke Auto das man sich eigentlich nicht leis­ten kann, die Flu­greise nach Thai­land, die das Bud­get für den ganzen Win­ter kippt — da muss man hart gegen sich selb­st sein und Gegen­maß­nah­men ergreifen.

Vor allem von amerikanis­chen Autoren hört man oft den Rat, bei Geld­man­gel einen zweit­en Job anzunehmen und z.B. nach Feier­abend als Tax­i­fahrer, Bedi­enung oder Bar­man zu jobben, aber das finde ich dann doch ein biss­chen krass. Man braucht auch unter der Woche Freizeit und Erhol­ung und kann sich ganz schnell kaput­tar­beit­en (Stich­wort Burnout), wenn man da übertreibt. Mal ganz davon abge­se­hen, dass die Leben­squal­ität ganz schnell zum Teufel geht, wenn man nur noch am robot­en ist. Da geht man doch lieber den unnötig fet­ten Aus­gabeposten an den Kra­gen!

Ich bin sel­ber vor ein paar Jahren aus ein­er 85 qm Alt­bau­woh­nung im schick­en Haid­hausen in eine halb so grosse, aber zauber­hafte kleine son­nige Bude im hohen Nor­den von München umge­zo­gen, weil fast mein ganzes Bud­get für die Miete drauf gegan­gen ist. Das war eine harte Entschei­dung, aber es musste was passieren, die Woh­nung wurde immer teur­er und mein monatlich­es Bud­get immer schmaler, das machte gar keinen Spaß mehr. Heute bin ich froh, dass ich den Absprung damals geschafft habe. Die kleinere Woh­nung hat schön Blick ins Grüne, reicht für mich als Sin­gle völ­lig aus und ist wesentlich leichter sauberzuhal­ten. Ich zahle nur ein Drit­tel an Miete im Ver­gle­ich zum Haid­hausen­er Palast. Das ist sehr befreiend, ich kann ganz anders wirtschaften und mir Dinge leis­ten, die in Haid­hausen ein­fach nicht drin waren, weil die über­teuerte Miete mein ganzes Haushalts­geld aufge­fressen hat.

Geben sie sich einen Ruck! Ger­ade bei Pres­ti­geob­jek­ten wie ein­er teuren Woh­nung, einem schnieken Auto und ein­er exk­lu­siv­en Fer­n­reise ist oft enormes Einsparungspo­ten­tial drin, auch wenn man erst mal über seinen Schat­ten sprin­gen muss. Langfristig tut man sich aber einen grossen Gefall­en, wenn man die dick­en Bud­get­fress­er eli­m­iniert. Denn eins kann auch der mod­ern­ste Min­i­mal­is­mus nicht ändern: das The­ma Geld wird immer wichtiger, je weniger man hat. Und das Leben ist eigentlich zu schade dafür, sich ständig mit Geld­sor­gen abzu­pla­gen!

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