Praxis Dr. Inselfisch

Psychologie, Philosophie und Programmierung

Web Developer — die neuen Rock Stars?

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Wenn man heutzu­tage einen beliebi­gen Stepp­ke fragt, was er denn ein­mal wer­den möchte, bekommt man in 90 % der Fälle die Antwort: Inter­net Pro­gram­mier­er! Allen­falls noch Spielkon­sole-Pro­gram­mier­er, aber das ist dann auch schon fast das­selbe. Der Hype in der Branche ist eben­falls unglaublich. Da wird von “Code Nin­jas” geschwärmt, von “Rock Star Codern” und “Web Heroes”. Das ist sog­ar schon lange in die Stel­lenanzeigen übergeschwappt, wo immer wieder voll­mundig Stellen für “Full Stack Devel­op­er” und “Senior PHP/UI/UX Design­er” ange­priesen wer­den.

Inter­net­pro­gram­mier­er sind In, sie sind die neuen Rock­stars der IT-Branche und unglaublich gefragt. Ausser­dem kön­nen sie ein irres Geld ver­di­enen und sich in 80-Stun­den-Jobs nach Belieben auch gle­ich zügig an den Burnout her­a­nar­beit­en. Wenn man das alles so liest, fragt man sich wirk­lich ob es ausser­halb des Web über­haupt noch eine IT gibt, oder ob sich heutzu­tage alles nur ums Inter­net dreht.

Ja klar, keine Fir­ma kommt heutzu­tage ohne eigene Webpräsenz aus. Sog­ar der Tante-Emma-Laden an der Ecke, der Dorf­friseur und die Autow­erk­statt brauchen eine Vis­itenkarte im Web, ohne gehts ein­fach heutzu­tage nicht mehr. Aber dafür braucht man kein Ruby on Rails, kein Sym­fony und erst recht kein Typo 3, und auch für die Inter­net­präsen­zen mit­tlerer und grösser­er Betriebe reicht mein­er Erfahrung nach ein vernün­ftiges, han­dlich­es CMS wie Word­Press, Joom­la oder Dru­pal vol­lkom­men aus. Eine Aus­nahme machen da höch­stens Fir­men, die in grossem Stil Ver­trieb, Mar­ket­ing und Verkauf über ihre Web­seite abwick­eln wollen, und auch hier­für gibt es vernün­ftige Soft­ware, die ohne grossen Pro­gram­mier­aufwand die Erstel­lung auch umfan­gre­ich­er und kom­plex­er Web­shops erlaubt.

Was machen also all die Code Nin­jas und Rock Star Devel­op­er da draussen? Das ist eine sehr berechtigte Frage. Web­seit­en und Apps entwick­eln, natür­lich, und das allerneueste an UI/UX für eine erfol­gre­iche Cus­tomer Jour­ney imple­men­tieren — was nix anderes heisst, als dass es Sinn und Zweck des ganzen Affenthe­aters ist, etwas zu verkaufen. Was sage ich, Unmen­gen von Was-auch-immer zu verkaufen und fette Prof­ite damit zu machen! Denn das überse­hen die vie­len Möchte­gern-Inter­net­pro­gram­mier­er gerne: es geht im Web nicht um Ruhm, Ehre und Glam­our, es geht um Prof­it, und um nichts anderes. Mit allen Mit­teln.

Das nächst gefragteste Berufs­bild sind SEO-Experten, auch hier herrscht eine irre Nach­frage, und die Head­hunter und Per­sonal­dien­stleis­ter reis­sen sich um jeden Kan­di­dat­en, der SEO auch nur richtig buch­sta­bieren kann. Tscha, und um was gehts hier? Um die Mess­barkeit des Erfol­gs der gnaden­losen Mar­ket­ingkam­pag­nen, um hochge­puschte Zahlen­spiel­ereien, die bele­gen sollen dass der Webauftritt auch den gewün­scht­en Erfolg erzielt: viele Besuch­er, viele Klicks, viel Verkauf, viel Prof­it.

Mehr steckt nicht dahin­ter.

Mich reisst wed­er das eine noch das andere vom Hock­er. Ich bin eine gute Web­de­signer­in, ich spreche fließend PHP und Javascript, ich bin MySQL-Exper­tin und hab eine gute Ahnung von Mobile First App­lika­tio­nen. Ich habe aber kein­er­lei Ambi­tio­nen, mein Beruf­sleben als Hand­lan­gerin der Mar­ket­inghei­nis und Wer­be­fritzen zu fris­ten, da käme ich mir nur wie ein bil­liges Werkzeug in einem ziem­lich schmutzi­gen Geschäft vor.

Ich habe andere Ambi­tio­nen. Durch mein Engage­ment in Sachen Bar­ri­ere­frei­heit habe ich in den let­zten Jahren unheim­lich viel über assis­tive Tech­nolo­gien gel­ernt, und ich lerne täglich neue und span­nende Entwick­lun­gen dazu. In seinem hochin­ter­es­san­ten, visionären Artikel:
“Heck yes, acces­si­bil­i­ty — let’s make the future awe­some” (frei über­set­zt: “Zum Don­ner, ja zur Bar­ri­ere­frei­heit, laßt uns die Zukun­ft affengeil gestal­ten!”)

beschreibt Mis­cha Andrews seine Vision von der dig­i­tal­en Zukun­ft, die erst durch die Forschung und Entwick­lung für bar­ri­ere­freie App­lika­tio­nen jed­wed­er Couleur ermöglicht wird. Von der Sprach­s­teuerung bis hin zur Bedi­en­barkeit eines Com­put­ers nur durch Augen­be­we­gun­gen, vom Daten­hand­schuh bis zum Vir­tu­al Real­i­ty Lab, von fahrerlosem Indi­vid­u­alverkehr bis zu wirk­lich per­son­al­isierten PDAs, er zeigt auf, welche wirk­lich inno­v­a­tiv­en Wege erst durch die forscherische, wis­senschaftliche Beschäf­ti­gung mit der Bari­ere­frei­heit eröffnet wer­den. Das kann einem fast schon ein biss­chen Angst machen, es gemah­nt ein biss­chen an die Schöne Neue Welt — aber es liegt an uns, uns nicht durch die Tech­nik beherrschen zu lassen, son­dern die Tech­nik als Mit­tel für unsere Zwecke einzuset­zen.

Andrews bringt es auf den Punkt: es ist seine Vision, und die macht Mut und Hoff­nung:

“A world where peo­ple man­age tech, not where tech man­ages peo­ple”
Eine Welt, in der die Men­schen die Tech­nolo­gie man­a­gen, und nicht die Tech­nolo­gie den Men­schen.

Amen, liebe Leser. Das ist die dig­i­tale Zukun­ft, das ist “where it’s at”. Ich will kein Rock­star Web­de­sign­er wer­den, ich will einen men­schen­würdi­ge und men­schen­fre­undliche dig­i­tale Zukun­ft aktiv mit­gestal­ten. Das ist meine Vision, mein Traum, und den ver­suche ich auch zu leben. Ich ste­he erst am Anfang dieser span­nen­den Reise, es gibt noch irre viel zu ler­nen und zu erforschen für mich. Aber die ersten Schritte sind getan, und ich habe ein Ziel vor Augen. Eines davon ist “A brighter, clear­er Web”, um mal bei der Inter­net­pro­gram­mierung zu bleiben. Aber da gibt es noch viel mehr, und ich bin sich­er, dass ich meine Nis­che, meinen Experten­platz in der Gestal­tung dieser pos­i­tiv­en dig­i­tal­en Zukun­ft find­en werde. Damit möchte ich mich für den Rest meines Beruf­slebens beschäfti­gen, und was soll ich sagen: es sieht gut aus. Die inten­sive Beschäf­ti­gung mit der Bar­ri­ere­frei­heit ist nur der erste Schritt auf einem span­nen­den Weg, aber sie ist ein guter Ein­stieg. Ich bin ges­pan­nt, wohin mich meine Reise noch führt, und ich werde bericht­en.

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