Ich habe mich in letzter Zeit viel mit Psychotherapie und Philosophie beschäftigt und viele kluge Vorträge und Interviews gehört und interessante Artikel gelesen. Ein Konzept, das eigentlich in allen Lehren zur besseren Lebensführung auftaucht, ist daß man lernen sollte, im Hier und Jetzt zu leben.
Da finde ich dass es sich viele Lehrer zu leicht machen, das Konzept bedarf halt schon der Erklärung und ist meines Erachtens nicht unmittelbar eingängig. Am ehesten finde ich noch einen Zugang, wenn ich mir den Lauf des Lebens so direkt vorstelle: da ist die Vergangenheit, die ist passiert und läßt sich nicht mehr ändern. Dann gibts noch die Zukunft, die ist voller Alternativen und Möglichkeiten, und ist noch nicht passiert. Und dazwischen ist das Hier und Jetzt, der Punkt wo der Transit passiert, wo Dinge geschehen, wo ich Entscheidungen treffe — Zehntausende an einem Tag! Nein, wirklich, das ist so. Ich hab da schon mal einen Artikel darüber geschrieben
20.000 mal am Tag : wie schnell schalten sie?
Mir kommt es bloß so vor, dass das ein verdammt kurzer Moment zwischen Gestern und Morgen ist, und nicht viel Platz für Entfaltung bietet.
Wenn ich mich zu einer Tätigkeit hinsetze, mein Material und Werkzeug bereitlege, Atem hole und mich auf den Augenblick konzentriere, sind schon drei bis fünf Minuten verstrichen. Wenn ich dann zum Beispiel ein Snifferle stricke (mein Deal mit dem Kosmos) dauert das so etwa 20–25 Minuten, dann ist eine halbe Stunde vorbei. Wenn ich das Snifferle dann auch noch ausarbeite: mit Füllwatte stopfe, zunähe, Öhrchen und Äuglein häkele und annähe, dauert das nochmal so etwa 20–25 Minuten.. Mein kosmischer Moment um im hier und jetzt ein Snifferle fertigzustellen braucht also eine knappe Stunde, drunter krieg ichs nicht hin.
Noch ein Beispiel: wenn ich einen schönen Kuchen backen möchte, brauch ich so etwa eine halbe Stunde um die Zutaten abzuwiegen und abzumessen, und den Teig zuzubereiten. Hefeteig dauert viele Stunden länger. Der Kuchen muss dann noch eine halbe bis eine ganze Stunde in den Ofen, also unter eineinhalb Stunden ist da nix zu machen. In der Zeit, die der Kuchen im Ofen braucht, strick ich ein Snifferle 🙂
Was noch länger dauert: wen ich im Sommer bei schönem Wetter ein paar Stunden am See abhängen möchte. Da dauert schon die einfache Fahrt mit dem Bus eine dreiviertel Stunde, und dann lauf ich von der Bushaltestelle bis zum See noch so ca. 20 Minuten. Einfache Strecke über eine Stunde, und zurück nochmal das selbe. An der Bushaltestelle strick ich ein Snifferle, wenn der Bus wieder mal Verspätung hat (hat er öfter).
Und wenn ich nur mal ein bisschen Ruhe brauche und die Augen zumachen möchte? Wenn ich nicht mindestens eine halbe Stunde Zeit habe, mach ich stattdessen lieber ein paar Jogaübungen und trink eine Tasse Kaffee oder Earl Grey, je nach Tageszeit. Und esse etwas zuckerhaltiges dazu, für den Blutzuckerspiegel. Und ich stricke ein Snifferle.
Wie ich es auch drehe und wende, unter einer halben Stunde krieg ich das mit dem Hier und Jetzt nicht gebacken. Bruder Steindl-Rast und Abt Notger mögen mir verzeihen, ich runde das mal auf, und finde ein Zeitschnittchen von einer Stunde ganz ordentlich für mein Stückchen Hier und Jetzt. Ich meine, so muss jeder sein Zeitscheibchen finden, und danach leben wie es am besten passt.