Ich habe gerade einen interessanten Artikel von Tristan Harris gelesen, mit dem Titel:
“How Technology is Hijacking Your Mind ” — “wie Technologie ihren Geist entführt”. Dabei ist “hijacking” eigentlich ein wesentlich stärkerer Ausdruck als das deutsche Wort “entführen”, es wird immer im Zusammenhang mit Gewalt und Piraterie gebraucht. Hier ist erstmal der Link zum Artikel:
Harris stellt sehr überzeugend dar, das alles was uns im Web begegnet ein Menü ist, im Sinne von einer vorgefertigten Auswahl, die einem keine wirkliche Wahlfreiheit läßt. Wenn ich in der Stammkneipe täglich blindlings das Menü ordere, setzt mir der Wirt vor was ihm gerade an diesem Tag eingefallen ist, und ich habs auf dem Teller, ob ich jetzt wirklich Appetit darauf habe oder nicht.
Wenn ich mir in den Social Media Kontakte vorschlagen lasse, seien es Stellenangebote, potentielle Sexualpartner, Blind Dates, Freundschaftsvorschläge oder sonstige vorsortierte Listen, bekomme ich das, was der jeweilige Anbieter für mich ausgewählt hat, auf welchem Wege auch immer. Die meisten Auswahlverfahren sind heutzutage automatisiert, da werden Profile abgegriffen und nach bestimmten programmgesteuerten Kriterien verglichen, und wer die meisten Matches hat, landet dann in meiner Kontakteliste ganz oben. Das hat jetzt rein gar nichts mehr damit zu tun, ob ich diesen Menschen auch im richtigen Leben gerne kennenlernen möchte. Erstens wird beim Ausfüllen der Profilfragebögen gelogen dass sich die Balken biegen, schließlich möchte ja jeder möglichst gut wegkommen in den sogenannten sozialen Netzwerken. Und zweitens bestimmt und steuert der kommerzielle Anbieter ganz genau, was ich zu sehen kriege und was nicht.
Das geht sogar noch weiter: zunehmend kriegt man nicht nur noch Menschen zu sehen, die ein internetmächtiger Anbieter ausgesucht hat, man kriegt auch nur noch Dinge — Werbung! — zu sehen, die bereits vorsortiert und nach meinen vermeintlichen Vorlieben berechnet werden. Unter anderem mit dem Einsatz von verfolgenden Cookies wird so sichergestellt, dass ich nur noch Stellenangebote eines bestimmten Personaldienstleisters in den Werbeplätzen zu sehen kriege, wenn ich einmal auf seiner Seite war. Wenn ich mir einmal einen Mercedes oder BMW im Car Configurator zusammengestellt habe, kriege ich nur noch Werbung für Mercedes oder BMW zu sehen, nicht mehr für andere Automarken. Wenn ich in einem Onlineshop etwas kaufe, werde ich danach oft mit Newslettern bombardiert, die mir “ähnliche” Produkte unterjubeln wollen, nach dem Motto “Das könnte sie auch interessieren”.
Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen, es arbeiten ja Millionen von Techies an personalisierter Werbung und dem sogenannten individuellen User-Erlebnis, Stichwort UI/UX. Alles wird vorgekaut, alles wird uns durch die ausgeklügelten Werbestrategien der Anbieter in vermeintlich leichtverdaulichen Häppchen hübsch vorsortiert und nett garniert serviert. Denn alles, aber auch alles dient nur einem Zweck: dem Profit. Verkaufen wollen sie alle, egal was. Pfui Deibel, mir vergeht dabei der Appetit, aber schon komplett.
Ich mag keine Fertiggerichte, auch nicht im Web. Ich koche lieber mein eigenes Süppchen, mit Zutaten die ich selber ausgewählt und nach meinen eigenen Rezepten sorgfältig verarbeitet habe. Ich hänge an meinem altmodischen Firefox, weil da der Adblocker so gut funktioniert. Wenn ein Newsletter nervt — sie haben X gekauft, dürfen wir ihnen Y auch noch andrehen? — wird er ganz schnell abbestellt. Verfolgende Cookies kann man ausschalten, Freundschaftsvorschläge von Facebook, Stayfriends und wie sie alle heissen ignoriere ich komplett.
Aber ich bin wahrscheinlich eine Ausnahme, ich bin seit Jahren bekennender radikaler Konsumverweigerer und kaufe nur Dinge, die ich mir selber wegen der Qualität und dem akzeptablen Preis-Leistungs-Verhältnis ausgesucht habe. Das geht bei Lebensmitteln los, über Dinge des täglichen Bedarfs bis hin zu KFZ und Urlaubsreisen. Ich habe lange an meiner Immunität gegen Werbung gearbeitet, und ich werde grantig wenn ich jetzt im Internet wieder zum konsumieren eingeseift werden soll, dann klicke ich schneller weg als man “kauf mich!” sagen kann. Ich mag nicht jeden Tag Menü essen, ich mag noch nicht mal jeden Tag in die Kneipe zum Essen gehen. Meistens koche ich lieber selber — und das ist jetzt genau das richtige Stichwort. Zeit fürs Abendessen! Bonne Soirée, werte Leser 😉