Praxis Dr. Inselfisch

Psychologie, Philosophie und Programmierung

Vorgekaut, vorverdaut, vorgespiegelt — der grosse Irrtum von der Wahlfreiheit im Web

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Ich habe ger­ade einen inter­es­san­ten Artikel von Tris­tan Har­ris gele­sen, mit dem Titel:

“How Tech­nol­o­gy is Hijack­ing Your Mind ” — “wie Tech­nolo­gie ihren Geist ent­führt”. Dabei ist “hijack­ing” eigentlich ein wesentlich stärk­er­er Aus­druck als das deutsche Wort “ent­führen”, es wird immer im Zusam­men­hang mit Gewalt und Pira­terie gebraucht. Hier ist erst­mal der Link zum Artikel:

https://medium.com/thrive-global/how-technology-hijacks-peoples-minds-from-a-magician-and-google-s-design-ethicist-56d62ef5edf3

Har­ris stellt sehr überzeu­gend dar, das alles was uns im Web begeg­net ein Menü ist, im Sinne von ein­er vorge­fer­tigten Auswahl, die einem keine wirk­liche Wahl­frei­heit läßt. Wenn ich in der Stammkneipe täglich blin­d­lings das Menü ordere, set­zt mir der Wirt vor was ihm ger­ade an diesem Tag einge­fall­en ist, und ich habs auf dem Teller, ob ich jet­zt wirk­lich Appetit darauf habe oder nicht.

Wenn ich mir in den Social Media Kon­tak­te vorschla­gen lasse, seien es Stel­lenange­bote, poten­tielle Sex­u­al­part­ner, Blind Dates, Fre­und­schaftsvorschläge oder son­stige vor­sortierte Lis­ten, bekomme ich das, was  der jew­eilige Anbi­eter für mich aus­gewählt hat, auf welchem Wege auch immer. Die meis­ten Auswahlver­fahren sind heutzu­tage automa­tisiert, da wer­den Pro­file abge­grif­f­en und nach bes­timmten pro­gram­mges­teuerten Kri­te­rien ver­glichen, und wer die meis­ten Match­es hat, lan­det dann in mein­er Kon­tak­teliste ganz oben. Das hat jet­zt rein gar nichts mehr damit zu tun, ob ich diesen Men­schen auch im richti­gen Leben gerne ken­nen­ler­nen möchte. Erstens wird beim Aus­füllen der Pro­fil­frage­bö­gen gel­o­gen dass sich die Balken biegen, schließlich möchte ja jed­er möglichst gut wegkom­men in den soge­nan­nten sozialen Net­zw­erken. Und zweit­ens bes­timmt und steuert der kom­merzielle Anbi­eter ganz genau, was ich zu sehen kriege und was nicht.

Das geht sog­ar noch weit­er: zunehmend kriegt man nicht nur noch Men­schen zu sehen, die ein inter­net­mächtiger Anbi­eter aus­ge­sucht hat, man kriegt auch nur noch Dinge — Wer­bung! — zu sehen, die bere­its vor­sortiert und nach meinen ver­meintlichen Vor­lieben berech­net wer­den. Unter anderem mit dem Ein­satz von ver­fol­gen­den Cook­ies wird so sichergestellt, dass ich nur noch Stel­lenange­bote eines bes­timmten Per­sonal­dien­stleis­ters in den Wer­be­plätzen zu sehen kriege, wenn ich ein­mal auf sein­er Seite war. Wenn ich mir ein­mal einen Mer­cedes oder BMW im Car Con­fig­u­ra­tor zusam­mengestellt habe, kriege ich nur noch Wer­bung für Mer­cedes oder BMW zu sehen, nicht mehr für andere Automarken. Wenn ich in einem Onli­neshop etwas kaufe, werde ich danach oft mit Newslet­tern bom­bardiert, die mir “ähn­liche” Pro­duk­te unter­jubeln wollen, nach dem Mot­to “Das kön­nte sie auch inter­essieren”.

Die Liste ließe sich beliebig fort­set­zen, es arbeit­en ja Mil­lio­nen von Techies an per­son­al­isiert­er Wer­bung und dem soge­nan­nten indi­vidu­ellen User-Erleb­nis, Stich­wort UI/UX. Alles wird vorgekaut, alles wird uns durch die aus­gek­lügel­ten Werbe­strate­gien der Anbi­eter in ver­meintlich leichtver­daulichen Häp­pchen hüb­sch vor­sortiert und nett gar­niert serviert. Denn alles, aber auch alles dient nur einem Zweck: dem Prof­it. Verkaufen wollen sie alle, egal was. Pfui Deibel, mir verge­ht dabei der Appetit, aber schon kom­plett.

Ich mag keine Fer­tig­gerichte, auch nicht im Web. Ich koche lieber mein eigenes Süp­pchen, mit Zutat­en die ich sel­ber aus­gewählt und nach meinen eige­nen Rezepten sorgfältig ver­ar­beit­et habe. Ich hänge an meinem alt­modis­chen Fire­fox, weil da der Adblock­er so gut funk­tion­iert. Wenn ein Newslet­ter nervt — sie haben X gekauft, dür­fen wir ihnen Y auch noch andrehen? — wird er ganz schnell abbestellt. Ver­fol­gende Cook­ies kann man auss­chal­ten, Fre­und­schaftsvorschläge von Face­book, Stayfriends und wie sie alle heis­sen ignoriere ich kom­plett.

Aber ich bin wahrschein­lich eine Aus­nahme, ich bin seit Jahren beken­nen­der radikaler Kon­sumver­weiger­er und kaufe nur Dinge, die ich mir sel­ber wegen der Qual­ität und dem akzept­ablen Preis-Leis­tungs-Ver­hält­nis aus­ge­sucht habe. Das geht bei Lebens­mit­teln los, über Dinge des täglichen Bedarfs bis hin zu KFZ und Urlaub­sreisen. Ich habe lange an mein­er Immu­nität gegen Wer­bung gear­beit­et, und ich werde grantig wenn ich jet­zt im Inter­net wieder zum kon­sum­ieren einge­seift wer­den soll, dann klicke ich schneller weg als man “kauf mich!” sagen kann. Ich mag nicht jeden Tag Menü essen, ich mag noch nicht mal jeden Tag in die Kneipe zum Essen gehen. Meis­tens koche ich lieber sel­ber — und das ist jet­zt genau das richtige Stich­wort. Zeit fürs Aben­dessen! Bonne Soirée, werte Leser 😉

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