Ich bin zur Perfektionistin erzogen worden, wie viele meiner Altersgenossinen aus den Babyboom-Jahren. Was wir machen, hat immer super zu sein: wir sind Super-Teenagerprinzessinen gewesen, aber auch Super-Schülerinnen und Super-Studentinnen, und nebenbei noch Super-Hausfrauen, und Super-Berufstätige-Mütter, sogar zu Super-Geschlechtspartnerinnen hat uns Tante Beate Uhse herangebildet.
Da waren unsere Mütter und Großmütter nicht so streng beschlagen. Die wussten noch, dass nichts perfekt ist, was wir mit unseren Fähigkeiten und unserer Hände Arbeit erschaffen. Meine Oma, eine begnadete Damenschneiderin und Modistin, nahm schon mal einen blauen Unterfaden bei einem schwarzen Stoff, oder ein geblümtes Futter (sieht man ja eh nicht!) in der Tasche eines noblen grauen Blazers.
Meine Mama strickte sehr gern, aber weil sie nur auf einem Auge gut gucken konnte, machte sie immer wieder Fehler, das nannte sie ihr “Handarbeitszeichen”. Ihre handgestrickten Pullis waren deswegen nicht weniger schön und kuschelig, und wir haben sie immer getragen bis sie fadenscheinig wurden.
Die Amish People, die die vielleicht schönsten traditionellen Quilts der Welt nähen, setzen in jedem Stück ein Stoffteilchen aus einer komplett verqueren nicht passenden Farbe ein, mit Absicht, denn sie sagen nur Gott ist perfekt, wir Menschen können es gar nicht sein. Und meine weise Freundin Helga hat die These aufgestellt: “Es ist völlig unmöglich, zwei identische Socken zu stricken”. Sie hat recht!
Von Helga stammt auch die alte Handwerkerweisheit “Besser gleich am Anfang verbohrt!”, die dem Rechnung trägt, dass in jedem Projekt Fehler passieren, und es besser ist man macht gleich zu Beginn etwas falsch, und hat dann seine Ruhe. Aus meiner Hobbyecke könnte ich auch noch tausend Beispiele zitieren, die beweisen dass man kein Stück absolut perfekt erschaffen kann. Von den Regalen mit den vier selbstgedrechselten Füssen, von denen einer im Durchmesser einen Zentimeter kleiner ist als die anderen drei, über den Schreibtisch mit dem nicht ausbesserbaren Wasserschaden auf der Platte bis zum Schrank mit dem um eine Handbreit verbohrten Schlüsselloch, da gäbe es noch viel zu erzählen.
Viel über den Wert des Imperfekten hat mich die Aquarellmalerei gelehrt. Das Aquarell lebt von Frische und Spontaneität, und nicht von perfektionistischer Detailgenauigkeit, ganz im Gegenteil. Ich musste lernen, zuerst eine schnelle Skizze zu machen statt mich stundenlang mit Details aufzuhalten, ich lernte Improvisation und die Kunst des Weglassens, und ich lernte es auch, ein Bild an einem Tag fertigzustellen und es so sein zu lassen wie es gelungen war. Ich habe am Anfang viele Bilder “kaputtgemalt” weil ich sie immer noch perfekter und wirklichkeitsgetreuer haben wollte, und lernte auf die harte Tour, dass weniger in der Aquarellmalerei immer mehr ist. Fotorealismus hat sicher seinen Platz in der Kunstgeschichte, aber im spontanen Landschaftsbild, das die Wolken und das Licht und die Stimmung einfangen möchte, hat er nichts zu suchen.
Ich habe mir einen Beruf ausgesucht, in dem man im Normalfall schon ziemlich perfekt arbeiten muss, wenn man einen Fehler in einer Codezeile macht, läuft das Programm nicht, oder liefert ein falsches Ergebnis. Das ist mir heutzutage genug Perfektionismus, bei meinem zweiten Beruf als Künstlerin und Handwerkerin sehe ich es heutzutage wirklich nicht mehr so eng.
Ich stricke nicht zwanzig Reihen zurück bloß weil ich zwei Maschen falschrum gestrickt habe, ich trenne keinen Socken wieder auf bloß weil er einen halben Zentimeter kürzer als der andere geworden ist (ich hab eh ungleiche Füße 🙂 ), ich improvisiere und “zaubere” beim Schneidern wie der Weltmeister, um meine vielen Fehler beim Zuschneiden und Massnehmen auszugleichen. Wenn ich Plätzerl backe, sind die mal grösser und mal kleiner und durchaus unterschiedlich geformt, ist ja keine Fabrikware. Wenn ich Glasperlenschmuck bastle, arbeite ich bewusst Fehlfarben mit ein, das sieht viel lebendiger aus als wenn man nur hundert absolut perfekte Swarovski-Kristalle aufreiht. Wenn ich blogge, mache ich Rechtschreibfehler, aber ich seh das nicht so genau, solange die Textverständlichkeit nicht darunter leidet. Und wer einen Fehler findet, darf ihn behalten! 🙂
Es lebe das Handarbeitszeichen! Wer arbeitet, macht auch Fehler, und Perfektionismus ist der ärgste Feind der Kreativität. Das sollten wir uns gerade im privaten Bereich, bei unseren Hobbys und Freizeitbeschäftigungen, nicht antun. Schliesslich arbeiten wir ja aus reiner Freude am Schaffen, und nicht um irgendeinen imaginären Perfektionspreis zu gewinnen. Selbermachen soll Spaß und Freude machen — und das, finde ich, ist ein guter Schlusssatz. Fröhliches Schaffen!