Praxis Dr. Inselfisch

Psychologie, Philosophie und Programmierung

Meine heimische Manufaktur: warum ich so oft in Serien arbeite

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Ich bin im zweit­en Beruf Kün­st­lerin. Ich male nicht nur, ich fer­tige auch aller­hand schöne Dinge in den ver­schieden­sten Tech­niken. Tex­tiles Han­dar­beit­en ist mein am häu­fig­sten aus­geübtes Kun­sthandw­erk, ich bin nie ohne mehrere ange­fan­gene Strick- oder Häke­lar­beit­en, an denen ich abwech­sel­nd arbeite. In mein­er Woh­nung lagern wun­der­volle Wol­lvor­räte für zukün­ftige Pro­jek­te, und meine fer­ti­gen Strick-Pro­duk­te find­en in mein­er Fam­i­lie und bei meinen Fre­undIn­nen reis­senden Absatz.

Han­dar­beit­en hat in unser­er Fam­i­lie Tra­di­tion, ich habe es schon als ganz kleines Mäd­chen von Mami und Oma abgeschaut und mir die Fin­ger­fer­tigkeit und das Kön­nen angeeignet, nicht nur nach Anleitung Strick­en und Häkeln zu kön­nen, son­dern meine eige­nen Mod­elle zu entwer­fen. Da war vor allen Din­gen die Oma eine fan­tastis­che Lehrerin, sie war ja Schnei­derin (Modis­tin! Ja, Oma, hast ja recht!) und wusste alles über Maßnehmen und Paß­form von selb­st­genäht­en Klei­dungsstück­en.

Der größte Schatz in Omas Ate­lier war ihr Fun­dus von selb­st gefer­tigten Papier­schnit­ten. Da gab es für jede ihrer Kundin­nen eine ganze Samm­lung von her­vor­ra­gend passenden Schnittmustern, für einen Blaz­er und einen Man­tel, für eine Bluse und eine Weste und einen Cardi­gan, für Hosen, Röcke, Dirndl und Abend­klei­der. Meine Oma kaufte auch jeden Monat die Bur­da, das war ihre Quelle der Inspi­ra­tion, aber Nähen tat sie nicht  nach den Bur­daschnit­ten, son­dern nach denen, die sie sel­ber angepaßt und nach den Massen ihrer Kundin­nen bear­beit­et hat­te.

Da wurde nicht jedes­mal das Rad neu erfun­den, da kam zum Beispiel das Fräulein Het­ty und brauchte einen marineblauen Blaz­er im Matrosen­stil für den Urlaub in Süd­frankre­ich. Pri­ma, sagte die Oma, ging in ihren Fun­dus und holte den erprobten Blaz­er­schnitt für Fräulein Het­ty aus ihrer Samm­lung. Dafür nehmen wir einen marineblauen Woll­gabar­dine, den gibts bei Weipert, und Goldl­itze sowie Mess­ingknöpfe zum Aus­putzen, die holen wir bei Beck am Rathauseck.

Das Fräulein Het­ty wurde dann nur zur Sicher­heit nochmal ver­messen, für den Fall dass sie unbe­merkt ein paar Pfund zu- oder abgenom­men haben sollte, und die Maße mit dem Schnitt ver­glichen. Passte alles, dann legte die Oma los, und spätestens nach ein­er Woche war der neue Marineblaz­er für Fräulein Het­ty fer­tig zur ersten Anprobe.

Die Oma arbeit­ete also immer zumin­d­est in Klein­se­rien, statt jedes­mal einen nagel­neuen Schnitt an die Kundin anzu­passen, nahm sie Bewährtes und gut Passendes, und vari­ierte es mit ihrem Geschick und ihrem stil­sicheren Mode-Empfind­en nur in Details. Die Paß­form blieb, das Revers zum Beispiel sah bei jedem Mod­ell anders aus, Län­gen und Ärmel­vari­anten wur­den angepasst, und natür­lich wirk­te schon jed­er Stoff wieder anders, da kam garantiert keine Langeweile auf. Damit pflegte sie auch die immer langjähri­gen Beziehun­gen zu ihren Kundin­nen, bei Oma Lat­ta gab es maßgeschnei­derte Cou­ture zu fam­i­lien­fre­undlichen Preisen, eben weil sie nicht für jedes Stück das Rad neu erfind­en musste.

Dieses Prinzip, dass man ein funk­tion­ieren­des Grund­mod­ell hat, von dem man immer wieder Vari­anten fer­ti­gen kann, übertrug Oma auch auf ihre son­sti­gen Han­dar­beit­en, und ich habe es von ihr über­nom­men. Ich habe einige Ord­ner voll mit selb­st­geschriebe­nen Anleitun­gen zum Strick­en, Häkeln und Nähen, und greife immer wieder auf Bewährtes zurück. Sock­en aus Regia in mehreren Größen, die immer beliebten Rip­pen­schals auf der Strick­mas­chine, Babysnif­ferchen für meine Char­i­ty-Pro­jek­te, die beliebten Herb­st­blat­tl-Hand­stulpen, noch ’ne Weste im Muschel­muster — ich habe ‑zig Grund­muster, von denen ich immer wieder mit grossem Erfolg Vari­anten her­stelle. Das hat ganz viel damit zu tun, dass ich Han­dar­beit­en als Handw­erk­skun­st ver­ste­he und ausübe, und meinen Fun­dus an funk­tion­ieren­den Anleitun­gen als Betrieb­skap­i­tal anse­he. Wie zum Beispiel auch ein Möbelschrein­er  sein Grund­wis­sen über die Fer­ti­gung  von Tis­chen, Stühlen und Schränken ein­set­zt, und nicht jedes­mal wieder eine Tür­pas­sung oder eine Arm­lehne neu erfind­en muss.

Ich nehme auch manch­mal dieses Strick­muster von jen­er Jacke, die Länge und Weite von dieser Weste, die Knopfleiste von diesem Stück und den Hal­sauschnitt hier­von. Ich kupfere bei mir sel­ber ab was das Zeug hält, und fer­tige daraus Neues und Passendes. Aber wesentlich öfter nehme ich mir ganz relaxed ein funk­tion­ieren­des Grund­mod­ell, arbeite es so wie ich es schon ‑zig mal gemacht habe, und freue mich wenn es wieder mal pri­ma funk­tion­iert. Puris­ten mögen da in Frage stellen, inwieweit es eine kreative Leis­tung ist, wenn man immer wieder das selbe macht, aber ich sehe das nicht so eng. Ich freu mich wenn etwas Gescheites her­auskommt bei meinen Han­dar­beit­ereien, und meine Kund­schaft (Familie&Freunde) freut sich über Selb­st­gemacht­es aus mein­er Werk­statt, immer wieder.

Das geht sog­ar noch einen Schritt weit­er: ich be-han­dar­beite meine Kund­schaft schon seit vie­len, vie­len Jahren, und mit der Zeit nagt dann doch deren Zahn an manchem Lieblingsstück. Da kommt dann oft der Hil­fer­uf: ach Evi, kannst du mir nicht nochmal so eine/n (Dings­bums) strick­en, der/die/das Alte geht lei­der kaputt! Dann bin ich froh, wenn ich in meinen Aufze­ich­nun­gen eine Doku­men­ta­tion finde, wie ich besagtes Lieblingsstück damals gew­erkt habe. Ein exak­tes Dup­likat ist zwar in den sel­tensten Fällen möglich, meis­tens gibts die Wol­lqual­ität und/oder die Farbe nicht mehr. Aber die Machart lässt sich meis­tens duplizieren, und ich finde in meinen Vor­räten meis­tens ein Mate­r­i­al, das dem Orig­i­nal zumin­d­est nahekommt. Boah, wenn ichs hingekriegt habe ist die Freude gross! Und das faden­scheinig gewor­dene Orig­i­nal wird in den wohlver­di­en­ten Ruh­e­s­tand ver­set­zt.

Notiz am Rande: Lieblingsstrick­sachen wer­den in unser­er Fam­i­lie übri­gens durch die Bank getra­gen und benutzt, bis sie kom­plett löcherig und faden­scheinig sind, und mit kein­er Fin­ger­fer­tigkeit der Welt mehr zu richt­en. Da hil­ft dann nur die kom­plette Rep­lika­tion, mit Restau­rierung ist da meis­tens nichts mehr zu machen. Na, paßt schon — ein guter Handw­erk­er beherrscht im Not­fall auch die Kun­st des sachgerecht­en Neubaus 🙂

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