Praxis Dr. Inselfisch

Psychologie, Philosophie und Programmierung

Speed Reading: die gar nicht so erstrebenswerte Kunst des Schnelllesens

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Ich kann Speed Read­ing — das heisst, ich kann ver­dammt schnell lesen und dabei den Sinn und Inhalt eines Textes genau­so exakt erfassen wie jemand, der erhe­blich langsamer und genauer liest. Ich habs noch nicht gemessen, wie schnell ich bin, aber wenn in meinen Newslet­tern ein “10 minute read” angekündigt ist, bin ich spätestens in ein­er Minute mit dem Artikel durch. Ich schätze mich sel­ber auf einen Fak­tor 10 und drüber, das heißt ich lese min­destens zehn­mal so schnell wie andere Leute. Der Witz beim Speed Read­ing ist allerd­ings, dass das Lesev­er­ständ­nis nicht darunter lei­den darf, son­st kommt es zu Effek­ten wie :

“Ich habe Krieg und Frieden in ein­er hal­ben Stunde gele­sen. Es han­delt von Rus­s­land.”

(Quelle unbekan­nt)

Woher ich das kann, keine Ahnung — hab ich mir sel­ber beige­bracht, nehme ich an. Ich hab schon als Vorschulkind lesen kön­nen, und war ab der ersten Klasse Volkss­chule die beste Kundin im Bücher­bus. Die Bib­lio­theken mein­er Eltern und Großel­tern hat­te ich durch, da war ich noch nicht ein­mal im Gym­na­si­um, also so etwa mit 10, 12 Jahren. Inklu­sive Papas Mario Puzo und Mamas Johannes Mario Sim­mel, nur Opas Brock­haus hat mich etwas länger aufge­hal­ten 😉

Speed Read­ing hat mir in der Schule unheim­lich weit­erge­holfen, weil ich meine Hausauf­gaben damit in kürzester Zeit erledi­gen kon­nte, und es hat mir auch im Studi­um viel gebracht, weil ich Lit­er­aturquellen wie ein Hochleis­tungs­bag­ger wegschaufeln kon­nte. Es hat mir auch in meinem Beruf als ITlerin viel geholfen, weil ich in einem Höl­len­tem­po recher­chieren kann und auf der Suche nach Prob­lem­lö­sun­gen im Inter­net Geschwindigkeit­sreko­rde breche — ich bin Meis­terin im Speed-Googlen und finde die Lösung zu einem x‑beliebigen Pro­gram­mier­prob­lem in weni­gen Minuten, wenn es sie denn im Inter­net gibt. Und die meis­ten Pro­gram­mier­prob­leme sind schon von anderen gelöst wor­den, glauben sie es mir — wir Infor­matik­er sind da wenig orig­inell und stolpern alle über die sel­ben Fall­en, wenn es darum geht eine neue Pro­gram­mier­sprache oder Bib­lio­thek oder API oder so etwas zu erler­nen. Ich kann auch Hand­büch­er und Bedi­enungsan­leitun­gen mit einem Affen­zahn dur­chack­ern und löse so die meis­ten RTFM-Prob­leme. (Anmerkung am Rande: RTFM = Read The F*cking Man­u­al — geflügeltes ITler-Wort)

Wie ich es schaffe, so schnell zu lesen? So wie die meis­ten Speed Read­er (s. Wiki-Link oben), ich erfasse nicht einzelne Buch­staben und Wörter, son­dern Wort­grup­pen und ganze Sätze und Absätze mit einem Blick. Das geht um so schneller, je mehr man übt, weil die Mus­ter­erken­nung immer schneller wird, je mehr Büch­er man gele­sen hat, und je ver­trauter man mit der Sprache ist. Ich kann Speed Read­ing übri­gens auch in Englisch, aber das nur am Rande.

Klingt gut, nicht wahr? Hat aber auch seine Schat­ten­seite: man kann es nicht abschal­ten. Das heißt, auch wenn ich zur Entspan­nung und zum Vergnü­gen lese, lese ich in einem Höl­len­tem­po, und habe die schön­sten Büch­er in Nul­lkom­manix durch. Das ist sehr schade, weil ich mich mit schö­nen Büch­ern eigentlich gerne wesentlich länger aufhal­ten möchte — da hil­ft es dann nur, die Not­bremse zu ziehen und mir sel­ber laut vorzule­sen, sprechen kann ich näm­lich lange nicht so schnell wie stumm lesen.

Das Vor­lesen ist allerd­ings etwas, das in meinem Fre­un­des- und Fam­i­lienkreis sehr geschätzt wird, und hier hil­ft mir Speed Read­ing sog­ar, ich bin eine sehr gute Vor­leserin. Dadurch, dass ich einen ganzen Satz auf einen Blick erfasse, hat mein Gehirn Zeit, auch noch über die Into­na­tion und die Lesegeschwindigkeit nachzu­denken, und dazu noch auf die Reak­tio­nen meines Pub­likums zu acht­en, ob ich zu schnell oder zu langsam lese oder ob ich zu laut oder zu leise bin. Das kann ich alles neben­her noch kon­trol­lieren und gegebe­nen­falls anpassen. Hier kommt mir die oft ungeliebte Fähigkeit gut zupass, ich liebe es Geschicht­en vorzule­sen und habe auch schon etliche Hör­bilder und Diashows selb­st ein­ge­le­sen und ver­tont, die kom­men bei meinem Pub­likum gut an.

Aber anson­sten kann ich keinem empfehlen, sich zu sehr aufs Schnel­lle­sen einzuschiessen, es nimmt einem wie gesagt viel zu schnell das Vergnü­gen an Büch­ern, die es wert wären, sich länger damit zu beschäfti­gen. Da benei­de ich manch­mal diejeni­gen, die sich Wort für Wort durch Texte arbeit­en, bei denen hält der Genuss viel länger vor, und ein köstlich­es Buch kann einen viele Tage aufs angenehm­ste beschäfti­gen. Ich lese halt dann im Not­fall nochmal, oder auch ein fün­ftes und ein zehntes Mal. Vom Winde ver­we­ht an einem Abend? Aber lock­er! Und immer wieder gerne 🙂

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