Die Kollegstufe 1978-1980

Ich bekam von meiner Mami zu meinem (glaube ich) 17. Geburtstag ein ganz wunderbares Geschenk: einen richtigen Künstler-Aquarellmalkasten feinster Qualität, mitsamt den passenden Kolinsky-Rotmarderpinseln und einigen der sehr teuren speziellen Aquarellblöcke. Ich habe mich sofort in die leuchtenden, lichten Farben verliebt, und diese Liebe hält bis heute ungebrochen an. Aquarellfarben sind meine Farben, mein bestes Handwerkszeug, mein stärkstes Ausdrucksmittel als Malerin.

Aquarellmalen ist gar nicht so einfach, es erfordert eine leichte und sichere Hand und viel Übung, denn Fehler lassen sich nicht oder nur sehr schwer korrigieren. Bei Öl- oder Acrylfarben zum Beispiel kann man mißlungene Stellen einfach übermalen, beim Aquarell geht das nicht, denn die Farben sind transparent, ein einmal gesetzter Pinselstrich scheint immer durch, egal wie oft man drüberpinselt.  Damit habe ich mich am Anfang schwergetan, ich war es ja von den Deckfarben der Schulmalkästen her gewohnt, daß man Farbschichten übereinander legen und im Notfall immer mit Deckweiß korrigieren konnte.

Unser Kunstlehrer, der Herr Schuster, hat mir dann Starthilfe gegeben und mir beigebracht, wie man die schönen leuchtenden Farben nebeneinander setzt und ihnen Licht und Luft zum Atmen gibt, und damit sind mir schon sehr früh einige hübsche Aquarelle gelungen. Dieses hier zeigt eine Gloria-Dei-Rose aus unserem Garten, in Mamis liebster roter Muranoglas-Vase:

gloria-dei-rose
gloria-dei-rose

1978 begann dann die neu eingeführte Kollegstufe, ich hatte die Leistungskurse Kunst (natürlich!) und Englisch.  Wir lasen in Englisch Shakespeare und Wordsworth, und natürlich den grandiosen „Lord of the Rings“ von J.R.R. Tolkien.  Das hat mich zu der Zeit stark geprägt, ich träumte von Königen und edlen Rittern, von großen Schlachten und edlen Fräulein in Not, das ganze Miittelalter-Repertoire eben. Das hat sich auch in meinen Bildern wiedergefunden. Hier sieht man ein adliges Pärchen von der Landshuter Hochzeit:

landshuter-hochzeit
landshuter-hochzeit

Und hier eine Dame aus einem mittelalterlichen Stundenbuch:

mittelalterliche-dame
mittelalterliche-dame

Ich malte auch einige Illustrationen zum Herrn der Ringe, die meisten sind leider verlorengegangen, aber hier habe ich „Die Gefährten“ festgehalten, so wie ich mir sie vorstellte:

die-gefaehrten
die-gefaehrten

Sie sind alle da, die Herrin Galadriel, Frodo mit dem Ring und seine drei Hobbit-Freunde, der Zwerg Gimli, der Elf Legolas mit dem Bogen, Streicher (Aragorn) blickt besorgt den Fluß hinauf, und Boromir mit dem Horn schaut etwas skeptisch.  Das Buch von Herrn Tolkien hat mich nachhaltig  beeindruckt, und ich nehme es heute auch immer wieder mal zur Hand, so einmal im Jahr lese ich es nochmal von neuem und leide und lebe und triumphiere am Ende  mit den Helden von Mittelerde.  Ein Meisterwerk, und wir Mädchen in der Schule liebten es alle, da waren wir einig.

In der Kollegstufe hatte unser Kunsterzieher, der liebe Herr Schuster, ganz andere Möglichkeiten und Materialien zur Verfügung als in den Jahren zuvor, die Kollegstufe wurde ja vom Freistaat als neue Schulform zur Studienvorbereitung nachhaltig gefördert. Wir malten nicht nur, wir lernten auch Töpfern und Bildhauern, Fotografieren und wie man selbst Bilder entwickelte, wir gestalteten Dioramen und Bühnenbilder, vertonten Diashows unserer Werke mit Kasettenrecorder und Mikrofon, wir bemalten die Wände im gesamten Schulkeller. Wir gingen jede Woche in ein anderes Museum oder eine Ausstellung, und so ganz nebenbei brachte uns unser Herr Schuster die ganze Kunstgeschichte von den Höhlenmalereien der Urzeitmenschen bis zur Pop-Art der 70er Jahre bei.

Die meisten meiner Bilder aus dieser Zeit sind in der Schule geblieben und in irgendwelchen Archiven verschwunden, das ist schade, aber leider kann man da nichts machen, die sind weg. Ich habe nur noch ein paar Zeichnungen und einige wenige Aquarelle aus der Schulzeit. Das Zeichnen lag mir auch schon immer besonders, mit Tusche und Bleistift habe ich immer gern gearbeitet. Hier ist ein hübsches Blatt mit fliegenden poppigen Nilpferden:

fliegende-pop-nilpferde
fliegende-pop-nilpferde

Und hier ein niedlicher kleiner Stier:

kleiner-stier
kleiner-stier

Ein anderer starker Einfluß zu der Zeit war meine jungerwachte Liebe zu Italien. Erstens lernte ich auf Schüleraustausch in Verona eine liebenswerte italienische Großfamilie kennen, die hatten eine Azienda Agricola (einen grossen Gutshof) auf dem Land, nicht weit von Vendig entfernt. Hier verbrachte ich viele Sommerferien und war in der Familie so herzlich aufgenommen wie ein eigenes Kind.

Und dann machten wir mit der Familie auch viele wunderbare Urlaube in Italien, wir zeltelten uns vom Gardasee über die Toskana bis nach Rom und schauten uns jede Sehenswürdigkeit auf dem Weg genauestens an. Unter diesen Eindrücken habe ich bei Herrn Schuster im Unterricht ein Architekturmodell von meinem Traumhaus am Meer entworfen, davon existiert noch diese Radierung, betitelt „Porto Ercole“ nach einem schönen Urlaubsort am Mittelmeer:

traumhaus-am-meer
traumhaus-am-meer

Und eine fröhliche Collage hat noch überlebt, sie zeigt mein Italien als Wunderland der Kunst, Landschaft und Architektur:

collage-italien
collage-italien

Aber leider, wie gesagt sind die meisten meiner Werke aus der Kollegstufe auf Nimmerwiedersehen in den Archiven der Schule verschwunden. Besonders geschmerzt hat es mich, daß auch meine Facharbeit verlorenging, die habe ich nämlich wirklich mit Herzblut gemalt. Ich war damals (wie wir Mädchen alle) ganz stark beeindruckt von der brillianten Verfilmung des Musicals „Jesus Christ Superstar“, und wir waren auch eine um die andere schwer verliebt in den jungen Ted Neeley, der den Jesus so charismatisch und überzeugend sang und spielte.

Deshalb wählte ich für meine Facharbeit auch Jesus als Thema, ich zeichnete und malte und dokumentierte „Darstellungen des Gekreuzigten in Münchener Kirchen“. Die Facharbeit war ein schweres und ernstes Thema für ein junges Mädchen, aber ich habe sie mit Liebe und viel Gefühl gestaltet und auch einen glatten Einser mit Stern dafür bekommen.

1980 habe ich dann das Abitur gemacht, das war nicht schwer, wir waren ja durch die Kollegstufe gut vorbereitet und ich bekam einen schönen Zweier als Gesamtnote. Jetzt sollte ich studieren, das war klar, da waren auch meine Eltern ganz stark dafür. Nur was?

Der Herr Schuster hätte mich gerne an der Kunstakademie gesehen, der träumte davon daß ich in seine Fußstapfen treten und ebenfalls Kunsterzieherin werden sollte. Ich war skeptisch: den Umgang mit störrischen Kindern als Lehrerin stellte ich mir ziemlich frustrierend vor, das war jetzt nicht mein Berufstraum.

Meine Großeltern setzten auf meine Sprachbegabung, die waren für Anglistik als Hauptfach, ich sollte Dolmetscherin oder wenigstens sprachgebildete Bürokraft werden. Meine Eltern hatten gar keine rechte Vorstellung, Hauptsache irgendein Univerrsitätsstudium mit Diplom, am Besten eine Naturwissenschaft, das würde mich im Berufsleben schon weiterbringen.

Ja, und ich? Ich hatte zu der Zeit einen ganz klaren Berufswunsch: ich wollte Restauratorin werden.  Aber dazu hätte ich zuerst ein Handwerk lernen müssen, Kirchenmalerin oder Möbelschreinerin oder so etwas, und da waren meine Eltern strikt dagegen, ich sollte sofort an die Uni und nicht erst eine Lehre machen.

Als Alternative zum Restaurieren konnte ich mir noch am ehesten eine naturwissenschaftliche Karriere vorstellen, also bewarb ich mich um einen Studienplatz in Biologie, aber der war damals schwer zu bekommen, da hatte ich einige Semester Wartezeit zu überbrücken. Also schrieb ich mich erst einmal (halbherzig) für Anglistik ein, zog aus dem Elternhaus aus und nach Schwabing in eine Studentenbude, und dann begann die bunte, wilde Studienzeit, aber damit beginnt auch ein neues Kapitel meiner Lebensgeschichte in Bildern.